Impulse von „Dreikönig“ her

IMPULSE VON „DREIKÖNIG“ HER

von Prof. Dr. Georg Langenhorst

in der Musikalischen Andacht am Dreikönigs-Abend am 6. Januar 2023 in St. Nikolaus, Wendelstein

Impulse von „Dreikönig“ her

Musikalische Andacht 

1. Aufbrüche

Heute denken wir über Menschen nach, die sich auf den Weg machen. Ohne genau zu wissen, was sie erwartet. Wir nennen sie klassisch die „heiligen drei Könige“, aber es waren wohl kaum tatsächlich drei und sicherlich keine Könige. „Weise, Sterndeuter aus dem Morgenland“, so nennt sie die Bibel. Zu denen werden wir kommen, denn es sind ungemein spannende Gestalten. 

Aber bleiben wir zunächst bei uns, bei Ihnen, bei Dir. Überlegen Sie: Wann in Ihrem Leben waren Sie das auch: Menschen, die sich auf den Weg machen. Ohne genau zu wissen, was sie erwartet. Doch, für fast alle von uns gab es diese Phasen im Leben, oft genug entscheidend. Versuchen Sie, eine solche Phase vor dem inneren Auge klar zu stellen:  Aufbruch. Neuanfang. Ohne zu wissen, was auf Dich zukommt. Erinnern Sie sich an das Gefühl: War das Beklemmung? Vorfreude? Eher Angst? Eher Hoffnung? Oder eine Mischung von allem?

Das Besondere an Wendelstein (und Umgebung), gerade wenn Sie katholisch sind (aber nicht nur dann): Wir sind fast alle Migranten. Eingewanderte. Oft schon in der Vorgängergeneration, vielfach aber auch wir selbst. Viele, viele stammen aus der Oberpfalz, und das hört man bis heute. Viele aus dem Rheinland und aus Westfalen. Viele andere kommen ursprünglich aus weiteren Teilen Deutschlands. Viele aus Oberschlesien oder anderen Teilen dessen, was heute Polen ist. Und, und… Das ist schon außergewöhnlich, diese bunte, sich ergänzende Mischung. Sie zeigt, wie gut man zusammenwachsen und voneinander lernen kann. 

Also: Wir alle kennen das, ob freiwillig oder erzwungen: den Aufbruch in Ungewisses, den Neuanfang am noch nicht vertrauten Ort. Was das mit den „heiligen drei Königen“ zu tun hat? Nun ja, sie können uns durchaus Vorbilder sein. Eben für diese Bereitschaft sich aufzumachen. Vertrautes hinter sich zu lassen. Neuaufbrüche zu wagen. Getragen von dem Vertrauen, mit Gott unterwegs zu sein. 

Schlagen wir also heute Nachmittag einen weiten Bogen: von Weisen, die sich damals aufmachten, hin zu uns und unseren Aufbrüchen. Getragen von Gott. Konzentriert auf das Bild des Neugeborenen, der ja selbst hineingeboren wurde in Aufbruch und Veränderung.

 

Auf der Suche nach dem Kind – sie folgten einem Stern

Eine Überraschung begann schon beim Weg in die Kirche. So viele Besucher, lange vor Beginn der Andacht. Die waren aufgebrochen um am Dreikönigstag für sich die Weihnachtszeit abzuschließen, aber auch wieder Gemeinschaft zu haben mit den Mitmenschen nach der „Abgeschiedenheit“ während der Corona-Zeit, Gemeinschaft mit dem Geschehen in der Krippe.

 

 

 

 

Die Beteiligten an der Andacht waren:

Das Quartett a capella aus der zum Pfarrverband mit St. Nikolaus gehörenden Dreifaltigkeitskirche Schwanstetten ( Elisabeth Ziem, Wilma und Michael Bärnreuther und Ulli Mayer) führte mit bekannten und auch seltener gehörten Liedern – z.B. auch von J.S.Bach – , noch einmal durch die Weihnachts-Krippe. Ein Quartett, nur vier Personen, und doch klare Vierstimmigkeit mit Dynamik und Einfühlungsvermögen. Ein Zeichen dafür, dass Chorklang auch im Kleinen möglich ist.

2. Der Stern

„Vom Himmel hoch“ da kommt ER her. Eine wunderschöne alte Weise. Sie aber, die so genannten „heilige drei Könige“, kommen, „aus dem Osten“, so schlicht benennt es die Bibel. Der Osten, das ist die Richtung der großen Weltmächte der damaligen Zeit, der Weisheit, der Wissenschaft, der Erkenntnis. Von dort also kommen sie, diese Nicht-Juden, hinein in das kleine, provinzielle, weltpolitisch vollkommen unbedeutsame Judäa. Warum? Was wissen wir über sie?

Nun, erste Erkenntnis: Sie sind Sterndeuter, Weise. Nur sie sehen, so heißt es, den Stern, dessen Bedeutung sie erraten. Er verheiße einen „neugeborenen König der Juden“. Die Menschen, für die der Evangelist Matthäus diesen Text schrieb, wussten, was das bedeuten soll. Sie kannten die Prophezeiung des Propheten Bileam aus dem Alten Testament: „Ein Stern geht in Jakob auf; ein Zepter erhebt sich in Israel.“ Und er fügte an: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe.“ Für Leser im ersten christlichen Jahrhundert war damit klar: Dieser von Bileam vorausgesagte Stern ist jetzt erschienen. Die Bileams-Prophezeiung hat sich in Jesus erfüllt.

Was heißt das für diesen Stern? Auffällig: Niemand sonst hat diesen Stern gesehen. Und ein entsprechendes astrologisches Phänomen ist wissenschaftlich nirgendwo nachgewiesen. Gab es diesen Stern also ganz objektiv, für alle sichtbar? Das ist möglich, gewiss. Aber warum hätten ihn dann nur so wenige zu deuten gewusst? Oder geht es um eine Einsicht, die sich letztlich nicht oben am Himmel zeigen muss, sondern tief in uns? Ich versuche eine poetische Deutung: 

Weihnachts-Stern

sie suchen mich

am himmel

mit fernrohr

und teleskop

beweisen

dass es

mich gab

damals

mich gab es

sehr wohl und

gibt es

noch immer

wirklicher

als

wahr

im herzen / eines jeden / der ahnt / was er sucht

 

 

Die Gruppe der Blechbläser (Katharina Polster, Heinz Fink, Georg Loose) war „nur“ ein Trio, zwei Posaunen und eine Tuba unter der Leitung von Katharina Polster. Sie spielen normalerweise als Quintett. Sie ließen sich aber auch in der kleineren Besetzung nicht die Freude am Musizieren nehmen. Jetzt erst recht! Die sonoren tiefen Klänge füllten den Kirchenraum mit ungewohntem „süßen Schall“, mit Engelsklängen, die eine große Bereicherung der Weihnachts-Musik waren. Ein Engelsterzett sind nicht nur kleine Putten sondern auch einmal tiefe Posaunen- und Tuba-“Engel“.

 

 

 

 

Hermann Lahm spielte an der Orgel drei Dreikönigslieder mit ImprovisatIons – Variationen in unterschiedlichsten Registerklängen und verdeutlichte damit die Inhalte der Liedtexte vom Beobachten des Himmels, vom Aufbruch aus dem Osten, von der Anbetung des Kindes in der Krippe. Beim Zug der Könige mit Gefolge und vielen Tieren ließ er die Orgel mit immer größerer Klangfülle brausen. Das eher verhaltene Jubeln der Engel und der Hirten kam mit einem Choralvorspiel von J.S. Bach und einer Pastorale von M. Reger zum Ausdruck.

3. Könige

Wie aber wurden nun aus den biblisch erwähnten Sterndeutern ‚Könige‘? Rufen wir uns das kurz in Erinnerung: Nur ein Evangelist erzählt diese Geschichte: Matthäus. Lukas erzählt auch von Menschen, die die historisch ja absolut sichere Geburt von Jesus bezeugen. Klar, denn jede gute Geschichte braucht Zeugen. Aber bei Lukas sind das eben ganz andere, die Hirten. 

Nun, bei Matthäus ist nirgendwo die Rede davon, 

  • dass es sich um Könige handelte, 
  • dass es drei wären, 
  • geschweige davon, dass sie Name und individuelles Profil hätten. 

All das sind Ergebnisse der – überaus liebenswerten – Deutetraditionen, die sich im Laufe vieler Jahrhunderte herausgebildet haben. Das ist doch so: Diese Traditionen haben einen eigenen Wert, eine eigene Würde, eine eigene ‚Wahrheit‘. Es gibt keinen Grund, sie abzuwerten. Aber es kann durchaus spannend sein nachzuforschen, wie sie eigentlich entstanden sind. Das werden wir tun.

Die Tradition, die Weisen als Könige zu bezeichnen, ist uralt. Sie geht auf einen Kirchenvater des zweiten Jahrhunderts zurück, der den schönen Namen Tertullian trägt. Mir unvergessen, weil unser fränkischer Professor für Kirchengeschichte ihn eben so – wunderbar fränkisch – aussprach: „Derdullian“.

Tertullian also stellte Bezüge zu alttestamentlichen Traditionen her. Beim Propheten Jesaja lesen wie eine aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert stammende Vision: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz“. Könige! Wandern zu „deinem strahlenden Glanz“? Was lag näher, als aus den biblisch bezeugten Weisen genau diese Könige zu machen? Einmal auf der Spur, suchte Tertullian weiter. Und was fand er in Psalm 72? „Die Könige“ heißt es dort, „bringen Geschenke. Alle Könige müssen ihm huldigen“.

Ja, das ist schon nachvollziehbar, oder? Die Übertragung der Bezüge von „Sterndeutern“ auf die „Könige“ legte sich nahe. Vom Alten Testament her deutete man schon früh die Weisen als Könige. So fanden sie Eingang in unsere Krippen. So fanden sie Eingang in unsere Herzen. Gut so. 

 

 

 

 

 

 

 

Prof. Dr. Georg Langenhorst, seit Jahren ein Wendelsteiner, gab den Besuchern Erläuterungen des Weihnachtsgeschehens, aber auch Nachdenkliches mit auf den Weg. Aufgebrochen waren damals nicht nur die Hirten und die heiligen drei „Könige“, sondern auch wir müssen uns immer wieder auf den Weg machen – trotz vieler Ungewissheit. Diese Einsicht zeigt uns nicht ein Stern am Himmel sondern muss tief in uns gesucht und im Herzen gefunden werden. Im Alten Testament heißt es in einer Vision von Jesaja: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz“. In der Zahl drei findet wir die damals bekannten drei Erdteile, die drei Geschenke oder auch uns selber in den drei Lebensphasen. Die Namen sind dabei nicht so wichtig, aber ein schöner Brauch mit der Deutung, Christus segne dieses Haus, Christus mansionem benedicat. Die drei Könige nahmen ihre Erlebnisse mit nach Hause in ihre Heimat. Entscheidend ist, dass auch wir die Erscheinung des Herrn mit in unser Herz, ins „Haus unseres Lebens“ nehmen.

4. Dreizahl und Namen

Könige also! Und warum drei? Nun, ein weiterer, im dritten Jahrhundert wirkender Kirchenvater – Origenes sein Name – bestimmte die Zahl der ‚Könige‘ auf drei. Warum? Aus einer einfachen, durchaus möglichen, aber keineswegs zwingenden Überlegung: drei Geschenke – drei Schenker. Eine Überprüfung aus dem privaten Lebensumfeld wird schnell die Gegenprobe erbringen: Wie oft bringt man zu einer Feier nur ein gemeinsames Geschenk mit. Oder schenkt allein weit mehr als ein Geschenk. Drei Geschenke, drei Schenker – möglich, aber nicht zwingend. Die Darstellung der solcherart bestimmten drei Könige findet sich jedoch schon in den frühchristlichen Katakomben Roms am Ende dritten Jahrhunderts.

Und die Namen, Caspar/Kaspar, Melchior und Balthasar? Sie finden sich erstmals vielleicht schon im sechsten, sicher belegbar und breit durchgesetzt wohl erst im neunten Jahrhundert. Man hat ihnen Gesicht, Profil und Gestalt gegeben, nur so wurden sie greifbar. Nur so werden sie greifbar. 

Alle weiteren legendarischen Charakterisierungen dieser sind ebenfalls Produkte der noch einmal späteren Legendenbildung: die der unterschiedlichen Hautfarbe der drei; die der Repräsentation der damals bekannten unterschiedlichen Erdteile (Europa, Asien, Afrika); oder die der drei Lebensphasen Jugend, Erwachsenalter, Greisenalter – ikonographisch symbolisiert durch Bartlosigkeit, schwarzen Bart und weißen Bart. All das sind schöne, warmherzige, bedeutungstragende Traditionen, die ihren Eigenwert besitzen. Das Wissen darum, dass von all dem in der Bibel keine Rede ist, schmälert den Sinn dieser Profilbildungen nicht.

Ach so, ja: Sie kennen die Buchstaben CMB, die den von den Sternsingern verbreiteten Segenswunsch der ‚heiligen drei Könige‘ symbolisieren: „Christus mansionem benedicat“ (‚Christus segne dieses Haus‘). Dieser Segen setzt die Verbreitung der drei Namen bereits voraus und deutet sie kreativ bis in unsere Zeit, bis zum Segen an unserer Haustür. Was für ein wunderbarer Zeitbogen! 

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Pfr. Michael Kneißl begrüßte zu Beginn die vielen Besucher, er bedankte sich für das „Aufbrechen auf den Weg “ und wünschte allen Zuhörern für den „Gang“ durch das Jahr und die weitere Zukunft Gottes Segen. Der Segen schloss auch den Wunsch nach Gemeinschaft, Zusammenhalt und vor allem Frieden mit ein – in den momentanen Zeiten ein so notwendendes Gut. – Der Erlös von 1.030 Euro im Kollektenkorb geht zur Linderung von Bedürftigkeit und Not nah und fern je zur Hälfte an die TAFEL in Röthenbach/ St. Wolfgang und an CARITAS INTERNATIONAL.

5. Heimkehr

Die biblische Erzählung um die Weisen bleibt freilich unabgeschlossen. Sie finden das Jesuskind, huldigen ihm, sind ergriffen. Für uns bezeugen sie, dass dieses Geschehen real ist, wahrhaftig, wahr. Aber dann verschwinden sang- und klanglos aus der Bibel. Sie ziehen, so heißt es schlicht, „heim in ihr Land“ (Mat 2,12) – und lassen uns mit der offen bleibenden Frage zurück, was sich durch das Bezeugte in ihrem Leben verändert hat. Wie haben sie, frage ich mich, weitergelebt? Einfach so wie zuvor? Völlig verändert und deshalb ganz anders?

Spirituell stehen diese Sterndeuter für Verhaltensweisen, die weit über die Weihnachtserzählung hinaus ihre vorbildhafte Bedeutung behalten. Am Anfang steht die Bereitschaft zum Aufbruch? Auch für uns. Der Weg öffnet sich beim Gehen. So war es damals, so ist es bei uns. 

Dann mussten die Sterndeuter lernen, dass ihre eigene Vermutung über den Weg falsch war. Sie bleiben jedoch aufmerksam, wachsam für Zeichen der Veränderung. Und sind bereit, ihre Entscheidungen zu revidieren. Nicht Jerusalem, wie sie dachten, Betlehem ist das Ziel. So kann es auch uns ergehen: Manchmal geht man Umwege, die es anzunehmen gilt. Am Ziel angelangt, gilt es, das Erwartete zu erkennen, aber auch zu korrigieren. 

Und weiter: So hatten sich die Sterndeuter das Geburtsszenario kaum vorgestellt. So ärmlich, so einfach. Aber nicht unsere Erwartungen prägen die Realität, vielmehr zeigt sie sich in ihrer eigenen Weise. Genau hier braucht es die Bereitschaft und Fähigkeit, sich von eigenen Lieblingsvorstellungen zu lösen. 

Und schließlich: Bescheiden wissen die Sterndeuter um ihren eigenen Platz in der Geschichte, reihen sich ein in die Rangfolge, werden still. Und dann, ganz realistisch, führt sie der Weg zurück in die Welt, aus der sie kamen. Sie werden zu überragenden Zeugen des weihnachtlichen Wärmestroms. Welche Konsequenzen diese Kraftwelle nach sich zieht, kann nur jeder Einzelne für sich wahrnehmen und gestalten. Epiphanie nennt die Kirche den heutigen Feiertag, Erscheinung des Herrn. Wo, wo ist er erschienen? Natürlich, damals in Israel. Aber entscheidend: in DEINEM Herzen.

Prof. Dr. Langenhorst

Text: Hermann Lahm

 

 

Bilder: Konrad Sailer