Predigt zur Andacht für die Ehejubilare am 30. September 2023 in St. Nikolaus, Wendelstein
Ein Jubiläum ist ein Anlass, dass wir auf dem Weg durch den Alltag Rast machen, uns umdrehen und die lange Wegstrecke in den Blick nehmen, die wir gegangen sind. Schön, dass Sie heute da sind und das gemeinsam tun, auf Ihren gemeinsamen Weg zurückschauen. Eine Ehe von 25 Jahren, 40, 50 und mehr, herzlichen Glückwunsch, das ist heutzutage schon etwas sehr Besonderes! Sie haben Grund zu feiern! Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, und auch hier, in der Kirche ihr Jubiläum in Gemeinschaft mit anderen ein wenig nach-feiern.
Sie alle haben viel zu sagen. Können aus ihren gemeinsamen Jahren erzählen von wunderba- ren Tagen, zu zweit und mit anderen zusammen, von schönen Erlebnissen, von dem, was man zusammen aufgebaut und geschafft, von Kindern vielleicht, von Segen und Glück;
Sie alle können aber auch Erfahrungen erzählen von harten Tagen, von großen Sorgen, von all den Reibereien des Alltags, von Krankheiten vielleicht, von Trauer und Leid. „In guten und in schlechten Tagen“ einander treu zu sein – bei der Hochzeit haben wir es uns versprochen, aber ehrlich gesagt, am Tag der Hochzeit denkt man doch eher an die guten Tage und verdrängt den Gedanken an schwere Zeiten lieber, obwohl wir wissen, dass es sie geben kann, geben wird.
In diesem Jahr denke ich besonders oft an meine Eltern, nicht wegen eines Jubiläums, son- dern wegen anderer Jahreszahlen. Mein Vater starb plötzlich, mit 61 Jahren. So alt ist mein Mann jetzt. Meine Mutter war damals so alt, wie ich heute bin. So weiß ich jeden Tag: Wie kostbar ist die Zeit, die wir zusammen erleben dürfen! Ich lebe aus diesem Wissen um unsere Zerbrechlichkeit, nicht ängstlich, aber sehr bewusst. Das scheint mir eine ganz wichtige Er- kenntnis, die Sie bestimmt mit mir teilen: Ja es gibt gute Tage und schwere Tage, auf jeden Fall aber ist die uns geschenkte Zeit so kostbar – es ist unsere Zeit. An Tagen wie heute oder an Ihrem Hochzeitstag in diesem Jahr haben Sie sich das bewusst gemacht und miteinander gefeiert.
Aber wie ist das an den anderen 364 Tagen im Jahr?
Ich weiß nicht, wie Ihr Alltag aussieht, und ich möchte Ihnen nichts reinreden. Aber von mir weiß ich, wie vollgestopft manchmal meine Tage sind. Da bin ich voll beschäftigt, mit mir und all den Anforderungen des Tages, komme kaum um mich rum und falle dann am Abend müde ins Bett. Spät ist es geworden auf der Sitzung des Pfarrgemeinderates. Leider heute keine Zeit für unser abendliches Gespräch: Wie war dein Tag? Was hast du erlebt? Was beschäftigt dich?
Geht es Ihnen auch so: Es gibt Tage, da leben wir nebeneinander her. Das ist auch ganz normal, aber wenn solche Tage überhandnehmen, haben wir vielleicht das Bedürfnis etwas zu ändern.
Ich war überrascht, als ich ausgerechnet im Buch einer Ordensfrau gute Ratschläge gefunden habe, damit wir als Paar unsere Liebe nicht vergessen, sondern sie hegen und pflegen. Schwester Emanuela Kohlhaas ist Priorin des Benediktinerinnen-Klosters in Köln und eine kluge Frau. Als Leiterin ihrer Gemeinschaft hat sie darüber nachgedacht, was ihrer Lebensge- meinschaft gut tun würde, wie die Beziehungen unter den Schwestern froher werden könn- ten. Dabei erwähnt sie aus der Begleitung von Ehepaaren die „Fabulous four“, die „fantastischen vier“: ganz einfache „Übungen“, die uns gut tun in einer liebevollen Beziehung. Und sie Sie schreibt diese Ratschläge auf, die für Paare gedacht sind. (Emmanuela Kohlhaas, Die neue Kunst des Leitens. Wie sich Menschen entfalten können, Freiburg: Herder 2022, S.88)
Begrüßen: Begrüßt euch am Morgen nach dem Aufwachen! Verbschiedet euch, wenn ihr aus dem Haus geht. Aber tut das nicht nebenbei, sondern in Nähe, schaut euch dabei an. Begrüßt euch achtsam, wenn einer heim kommt.
Berühren: Rat Nummer 2 für Paare mit langer Erfahrung: Bleibt in Kon-Takt. Nehmt euch fest in den Arm. Umarmt euch jeden Tag einmal und zwar länger als 5 Sekunden. Das tut gut!
Wertschätzen: Jetzt wird es schwer für die wortkargen Franken! Sprich mal ein Lob aus, ein Kompliment. Nichts Aufgesetztes, das durchschauen wir doch. Also bitte nicht übertreiben. Aber jedem tut es gut, mal was Freundliches zu hören. „Danke, dass du einkaufen warst.“ „1a gekocht!“ „Wie gut, dass du da bist.“ Sie können ja mal mit leichteren Übungen anfangen und sich dann steigern.
Aber jetzt wird es noch schwerer: Den anderen mal loben, tut nicht weh, aber eigene Fehler zugeben? Sehr schwierig. Dabei wissen wir doch: „Nobody is perfect.“ Also Rat Nummer 4: Gib es halt zu, wenn du einen Fehler gemacht hast, und entschuldige dich. (aber Vorsicht: dieser Tipp gilt nicht für Menschen, die sowieso immer die Schuld bei sich suchen)
Wie stark sind die Dankworte, aufgeschrieben vor 3000 Jahren im Psalm 138, und bis heute bewegend, die wir in der Lesung gehört haben:
„Ich will dir danken mit meinem ganzen Herzen Am Tag, da ich rief, gabst du mir Antwort,
du weckst Kraft in meiner Seele….
Muss ich auch gehen inmitten der Drangsal,
du erhältst mich am Leben…“
Der Psalm ruft auch zum Singen und Jubeln. Wie gut passt das zum Jubiläum!
Ich wünsche Ihnen, dass Sie heute, am Vorabend von Erntedank, dankbar auf Ihren ganz per- sönlichen Weg miteinander schauen können und mit Zuversicht die nächste Wegetappe miteinander gehen, dankbar für die kostbare geschenkte Zeit.
Die Formulierung „die zwei sind wie ein altes Ehepaar“ ist vielleicht manchmal ein bisschen frech gemeint, aber ich lege sie heute mal total positiv aus: Ein Ehepaar mit langem gemeinsamem Weg kennt einander so gut wie kaum jemand sonst. Wir wissen, wie wunderbar und liebenswürdig der Partner / die Partnerin sein kann. Wir kennen auch die Schwächen und
Macken. Wir haben Wege gefunden, mit den Schwächen des anderen umzugehen. Wir sind dankbar, dass der andere es mit unseren Schwächen aushält. Und wir wissen nach all den Jahren ganz genau, was wir dem anderen lieber nicht zumuten sollten, weil er das doch gar nicht können kann.
Der Franziskaner Richard Rohr spricht davon, dass die Tugenden der zweiten Lebenshälfte andere sind als die Tugenden, die wir in der ersten Lebenshälfte lernen müssen. In der ersten Lebenshälfte gilt es, Disziplin und Selbstkontrolle einzuüben. Dabei müssen wir in der zweiten Lebenshälfte nicht stehen bleiben, sonst werden wir „starr, unbeweglich, kleinlich, lieblos und lassen Liebe, Leidenschaft, Freiheit, Freude und Lachen sterben.“ (Richard Rohr, Nur wer absteigt, kommt auch an. Die radikale Botschaft der Bibel, München 2. Aufl. 2010, S. 84)
In der zweiten Lebenshälfte dürfen wir großzügiger und geduldiger sein mit uns Selbst und mit dem anderen. Wir können uns in den anderen hineinversetzen und unser eigenes Ego re- lativieren. Eine gute Portion Humor tut uns gut, wohl gemerkt: Kein Zynismus, sondern die Fähigkeit, über sich selbst auch mal lachen zu können.
Ein letzter Gedanke: Ob uns das vielleicht sogar unser Körper lehren kann, unsere Ohren und unsere Augen: Sie kennen das vielleicht, und es ist ja unvermeidlich, wir werden mit der Zeit ein bisschen schwerhörig und sehen das Kleingedruckte nicht mehr so gut. Nehmen Sie es als Bild: Sehen Sie über Kleinigkeiten hinweg. Seien Sie ein bisschen schwerhörig, wenn gestritten und gehadert wird, aber hören Sie hin auf den Zuspruch Gottes, mit dem er unserer Seele Kraft gibt.
Annegret Langenhorst, Dr. theol.
(Pfarrgemeinderat St. Nikolaus)